„Der Willkür der Ausbilder ausgeliefert“: 24 Monate Vorbereitungsdienst am Seminar Speyer – ein Erfahrungsbericht
Befragt man Dr. Google nach „Referendariat Erfahrungen“, erhält man 206.000 Treffer – darunter zahlreiche Blogs, in denen sich Referendare austauschen: „Der Willkür der Ausbilder ausgeliefert“, „Hölle Referendariat“ oder „Schlimmste Zeit meines Lebens“, um nur drei Zitate zu nennen, die dort genannt werden. Positive Aussagen sucht man mühevoll und meist erfolglos.
Und warum sollte man es schönen: Ja, der Vorbereitungsdienst ist hart. Es ist eine Zeit zahlreicher Entbehrungen. Eine Zeit, in der man wenig Zeit für Familie, Freunde, Hobbys, Freizeit, Urlaub und vor allem sich selbst hat. Eine Zeit, in der es völlig irrelevant ist, dass man formal bereits Akademiker ist. Man ist zurückversetzt in eine Zeit, in der es darum geht, an sich zu arbeiten, sich weiterzuentwickeln und Leistung zu bringen. Eine Zeit, in der man viel am Schreibtisch sitzt, Bücher wälzt, Unterricht und Unterrichtsbesuche plant und schlicht und ergreifend (in meinem Fall mit kleinem Kind hauptsächlich nachts) ackert. Aber nein, ich habe nicht die „Hölle Referendariat“ erlebt, fühlte mich nicht „Der Willkür der Ausbilder ausgeliefert“ und habe nicht die „Schlimmste Zeit meines Lebens“ erlebt. Hilbert Meyer sagte 2013 in einem Interview, beim Vorbereitungsdienst handele es sich „um jene Phase im Lehrerwerdungs-Prozess, in der noch einmal kräftig dazugelernt wird.“ Und das ist es doch, worum es in Wirklichkeit geht und wie man es als Referendar sehen sollte: Eine Zeit, in der ich theoretische Konstrukte aus der universitären Ausbildung in der Praxis erlebe, ein Handlungsrepertoire aufbaue und dadurch erst zum Lehrer werde; und vor allem am Ende befähigt bin, meinen Wunschberuf auszuüben, den Weg von Jugendlichen und Erwachsenen pädagogisch zu begleiten, Lernbegleiter und -unterstützer zu sein.
Mit der Einführungsphase hat man in RLP eine Zeit geschaffen, die Ruhe suggeriert. In diesen ersten drei Monaten des Vorbereitungsdienstes hat man die Möglichkeit, bei Kollegen zu hospitieren, lernt die Struktur der Schule kennen und findet sich im Seminar und in einen neuen Lebensabschnitt ein. Und man sieht ganz unterschiedlichen Unterricht – vom lehrerzentrierten Frontalunterricht mit langen Lehrermonologen, über Unterricht, in dem Schüler seitenweise Texte lesen und den Inhalt danach zusammenfassen und präsentieren bis hin zu einem projektorientierten, erfahrungsbasierten Unterricht, in dem die Schüler selbsttätig und aktiv sind.
Die Ruhe endete jedoch mit der Hauptphase, in der ich – gefühlt – nicht mehr unter Welpenschutz stand. Obwohl ich auch bei uns im Seminar die „Horrorgeschichten“ von Fachleitern gehört hatte, bei denen die Lehramtsanwärter ein „schweres Leben“ hatten, habe ich gegenteilige Erfahrungen gemacht. Alle meine Fachleiter (und mit 2 Fachleiter-Wechseln hatte ich während der gesamten Ausbildungszeit 5) waren mir sehr zugewandt und bei Fragen oder Unsicherheiten jederzeit ansprechbar. Und auch über meine Ausbilder hinaus konnte ich alle Fachleiter ansprechen, Fragen an sie richten oder wurde ihrerseits zu meinem Befinden gefragt und habe gute Wünsche erhalten.
Auch wenn ich mit all meinen Fachleitern großes Glück hatte, war jedoch spürbar, dass man Erwartungen an mich hatte, die gestillt werden wollten. Mit Beginn des Referendariats schlüpft man in eine Doppelrolle, über die ich mir zu Beginn überhaupt keine Gedanken gemacht hatte. Als Lehramtsanwärter ist man nicht nur Lehrer, der den Schülern in seinem Fach die notwendigen Kompetenzen mit auf den Weg geben möchte, gestaltet dazu seinen Unterricht entsprechend und bewertet seine Schüler. Nein, man ist gleichzeitig Auszubildender, wird betreut, erweitert seine Kompetenzen und wird – auch wenn es bei den UBs noch nicht in Notenform erfolgt – bewertet. Einerseits bin ich als Lehrkraft mit voller Verantwortung für meinen eigenen Unterricht zuständig, andererseits bin ich aber von meinen Ausbildern in Schule und Seminar „abhängig“. Vor allem diese Abhängigkeit und teilweise Abgabe von Verantwortung fiel mir in der Anfangszeit extrem schwer. Nicht nur in der Uni, sondern auch in meinen beruflichen Tätigkeiten wurde darauf gepocht, nicht ständig Fragen zu stellen, sondern sich selbst zu helfen. Auch das ist eine Kompetenz, die schwer erarbeitet ist und aus meiner Sicht die Selbständigkeit einer Person maßgeblich bestimmt. Aber gerade das muss man im Vorbereitungsdienst völlig ablegen. Es wird erwartet, dass man Fragen stellt, womit ich mich zu Beginn sehr unwohl gefühlt habe, aus Angst, zur Last zu fallen und mich als grundsätzlich „unfähig“ zu präsentieren. An dieser Stelle möchte ich aber auch unbedingt betonen, dass auch viele oder häufige Fragen von meinen Fachleitern nicht als Last empfunden wurde. Man hat mich aktiv aufgefordert, Fragen zu stellen. Mir wurden alle Fragen geduldig beantwortet und man hat mir den Eindruck vermittelt, wichtige Fragen zu stellen und meine Fragen gerne zu beantworten. Auch wurden mir Termine außerhalb der Seminarzeiten angeboten, um mit mir über verschiedene Themen, die mich bewegt haben, zu sprechen.
Als Quereinsteiger habe ich im Verlauf meines 24-monatigen Vorbereitungsdienstes 18 Besuche durch mindestens einen Fachleiter – Examen nicht, aber Werkstattunterrichte, TOPs und Lernbegleitung mitgerechnet - erlebt. 18 Besuche, in denen man mir Beratung angedeihen ließ. Wertvoll für die Weiterentwicklung – keine Frage. Aber mit der Zeit psychisch sehr belastend, wenn man wenig Positives hört, sondern man sich primär auf Entwicklungsbereiche konzentriert, die selbst beim besten Unterricht naturgemäß immer vorhanden sind. Auch wenn ich sicherlich nicht den schlechteste Unterricht gezeigt habe, musste ich mir häufig in Erinnerung rufen, dass der gezeigte Unterricht nicht schlecht war, sondern Elemente innerhalb des Unterrichts anders hätten gestaltet werden können, um z.B. den roten Faden deutlicher herauszustellen oder die Schüler stärker zu aktivieren. Ich bin der Überzeugung, der Umgang mit diesen Beratungssituationen ist mir gut gelungen, da ich aufgrund des wertschätzenden Umgangs meiner Fachleiter mit mir in den Seminaren und außerhalb zu jeder Zeit wusste, dass man nur mein Bestes im Sinn hat.
Aber, mal ehrlich: Der Vorbereitungsdienst ist endlich – nach 18 (oder wie in meinem Fall 24 Monaten) steht das Examen und danach ist es beendet. Und diese 24 Monate habe ich rückblickend als unglaublich lehrreich erlebt. Wenn ich heute auf meine UMs zurückschaue und diese mit meinen letzten UBs vergleiche, sehe ich eine enorme Weiterentwicklung. Nicht nur in der Sicherheit, Unterricht zu planen, dem Umgang mit meinen Schülern oder meiner Souveränität im Unterricht haben mich diese 24 Monate geprägt. Und diese Weiterentwicklung in jedem Bereich ist zurückzuführen auf den Austausch mit Fachleitern, Mentoren, Mitreferendaren und Kollegen, dem Aufbrechen meiner festgefahrenen Strukturen und dem Blick über den Tellerrand hinaus.
In diesen 24 Monaten habe ich viel gelernt – nicht nur, was Unterricht anbelangt, sondern auch persönlich für mich: Frustrationstoleranz, Kritik annehmen, auch mal über den eigenen Schatten springen; nicht an sich selbst zweifeln, aber die Schuld auch nicht bei anderen suchen; Dinge einfach mal akzeptieren, die man ohnehin nicht ändern kann; sich auf das Wesentliche konzentrieren. Klingt zugegeben alles eher negativ, hat mir aber eine gewisse Gelassenheit gebracht, die Stress an mir abprallen lässt. Und jetzt, da ich den Vorbereitungsdienst hinter mir habe und mich Lehrerin nennen kann, kann ich folgendes behaupten: Stress habe ich im Schulalltag noch immer genug, aber ich bin deutlich entspannter!
Wie gestalte ich mein Ref stressfreier?
Mit dem Vorbereitungsdienst liegt eine aufregende, aber auch eine anstrengende Zeit vor einem. Viel Stress, der aber mit kleinen Tricks minimierbar ist. Für die „Neuen“ am Seminar Speyer ein paar Tipps, die mir das Leben erleichtert haben.
Das wichtigste Schlagwort vorweg: EFFIZIENZ!!! Schone dich, indem du Strukturen schaffst und zeitsparend arbeitest.
Tipp 1: Alles, was dir zu deinen Fächern an Unterrichtsmaterial in die Hände kommt, abgreifen!
Kollege XY hat Unterrichtsmaterial, das perfekt für den Unterricht am BGY ist. Du hast sie dieses Jahr aber nicht und kopierst es dir nicht. Ein Jahr später: Du bist am BGY eingesetzt, der Kollege an einer anderen Schule. Hättest du es dir mal kopiert, hättest du jetzt tolle Impulse, könntest dadurch schneller deinen Unterricht planen und könntest Zeit sparen.
Tipp 2: Schaffe dir Möglichkeiten, unabhängig von zuhause zu arbeiten zu können!
Ein mühevoll erstelltes Arbeitsblatt – die Erstellung hat dich Stunden gekostet – soll den ganzen Unterricht tragen. Du bist in der Schule, dein Arbeitsblatt liegt… zuhause. Panik bricht aus, Unterricht ist im Eimer. Aber für dich kein Problem: Du loggst dich einfach in der Schule am PC ein und holst dir das Arbeitsblatt aus der Cloud, wo du immer sämtliches Unterrichtsmaterial (jedes Arbeitsblatt, jede Unterrichtsidee, jeden DAP, etc.) gut sortiert speicherst.
Tipp 3: Installiere tiny-scanner!
Ein Mitreferendar zeigt dir, wie er Epo-Noten macht. Dazu hat er eine tolle Matrix erstellt, von der du ganz begeistert bist und (s. Tipp 1) sofort haben möchtest. Pfiffiger Referendar, der du bist, willst du ein Foto davon machen. Da du alles in einer Cloud speicherst (s. Tipp 2) muss da Foto jetzt da hochgeladen werden. Tiny scanner kombiniert diese Schritte für dich! Du machst ein Foto, das sofort (wunderbar als pdf!) in der Cloud abgelegt werden kann.
Tipp 4: Behalte deine Aufgaben im Blick!
Klassenarbeiten erstellen, Noten machen, Arbeitsblätter kopieren, Lernstationen erstellen, Konferenzen, Pausenaufsichten, Korrekturen, Unterricht planen, etc. – das Aufgabengebiet eines Lehrers ist schier unerschöpflich. Wer nicht in Stress geraten will und vor allem den Überblick über seine eigenen Aufgaben behalten will, nutzt einen Taskmanager wie beispielsweise Wunderlist. Sehr empfehlenswert für all jene, die (wie ich) ohnehin ihr Tablet überall dabeihaben: Teacherstudio fürs Tablet oder den Laptop (Kosten: 24 €, die sich lohnen). Terminübersichten, Kalender, Unterrichtsplanung, Notenlisten (kein Rechnen mehr!), Sitzpläne - alles in einem und macht den traditionellen Lehrerkalender überflüssig.
Tipp 5: Finde heraus, ob du der Währenddessen-Arbeiter oder der Vor-Arbeiter bist!
Brückentagen, Feiertage oder Ferien stehen an – Zeit zur Entspannung? Sicherlich tut es gut, Ref mal Ref sein zu lassen und mal wieder Freundschaften zu pflegen, feiern zu gehen oder einfach mal auf dem Sofa zu liegen und ein Buch zu lesen, das nicht „Methoden guten Unterrichts“, „Didaktik des Fremdsprachenunterrichts“ oder „Zum Umgang mit Heterogenität“ heißt. Wenn du an diesen Tagen gerne frei hast, hast du während der Schulzeit etwas mehr zu tun und bist ein Währenddessen-Arbeiter. Nutzt du die Ferien aber, um den Unterricht der nächsten Wochen vorzubereiten, hast du während der Schulzeit weniger zu tun und bist ein Vor-Arbeiter. Vielleicht gibt es aber auch einen Kompromiss…
Tipp 6: Erkaufe dir Zeit!
Du hast tolle Karten im Internet entdeckt, die man super für Reflexionsphasen nutzen kann. Diese gibt es a) zum selbst laminieren für 10 € und b) bereits laminiert für 15 €. Alternativ könntest du auch c) weiter im Internet stöbern, eigene Bilder suchen, diese ausdrucken und laminieren. Was tust du? Wenn doch schon jemand seine tolle Idee anbietet, nutze sie – vor allem, wenn das, was du kaufst, steuerlich absetzbar ist! Geiz ist im Referendariat nur bedingt der richtige Ansatz – ich weiß, reich wird man in dieser Zeit nicht. Aber das höchste Gut im Vorbereitungsdienst ist m.E. Zeit…
Tipp 7: Sei kein Eremit!
Dein Unterricht ist beendet. Auch wenn du am liebsten sofort nach Hause gehen würdest, weil noch Arbeit auf dich wartet, könntest du auch in den Austausch mit Kollegen kommen – nicht selten erweisen sich gerade Fachgespräche als unglaublich hilfreich und als große Zeitersparnis. Vor allem erfahrene Kollegen (und Referendare, die Tipp 1 beherzigen) haben einen unglaublichen Fundus, der tolle Impulse bietet.
Tipp 8: Versuche Gegebenes nicht ständig zu hinterfragen!
Es gibt Dinge, darüber könnte man sich aufregen – und zwar stundenlange, tagelang, monatelang. Vermutlich sogar die komplette Zeit des Vorbereitungsdienstes. Ändern wird man aber nichts. Nein, es können keine Noten gegeben werden. Nein, eine sinnvolle Lösung für die Küche wird auch nicht gefunden. Tu dir selbst einen Gefallen, schone deine Nerven, nimm hin, was nicht zu ändern ist und setze deine Ressourcen zielführender ein!
Und nun genug der Tipps – viel Erfolg im Vorbereitungsdienst in Rheinland-Pfalz!